1. Customer Onboarding und Know Your Customer (KYC)
Der KYC-Prozess ist zum einen eine regulatorische Verpflichtung von Banken und Finanzdienstleistern, um Geldwäsche und Terror-Finanzierung zu verhindern. Darüber hinaus bietet er die Chance, ein umfassendes Profil des Kunden zu erstellen, dass bei entsprechender Pflege alle relevanten Informationen bereithält, die beispielsweise für regelmäßige Sanktions- und PEP-Prüfungen oder für eine periodische Aktualisierung des Kreditratings benötigt werden.
Gerade im KYC-Prozess lassen sich, zusammen mit dem Onboarding, erhebliche Effizienzpotenziale durch Digitalisierung und Automatisierung heben. Lösungen wie ACTICO KYC können über geeignete Schnittstellen in den Onboarding-Prozess eingebunden werden und übernehmen beispielsweise den automatisierten Abgleich der Kundendaten mit Sanktionslisten und PEP-Verzeichnissen (Politisch Exponierte Personen), die Aktualisierung der Risikoklassifizierung oder auch die Dokumentation der wirtschaftlich Berechtigten Personen eines Unternehmens. Aktualisierungen des KYC-Profils können risikoabhängig erfolgen. Auf diese Weise entsteht eine solide Datenbasis, die allen Aspekten des Kreditmanagements gerecht wird.
2. Bonitätsbeurteilung
Die Grundlage für die Einschätzung der Bonität eines Unternehmens bildet die Bilanzanalyse. Jahresabschlüsse und Quartalsberichte liefern zwar umfangreiche Daten zur wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens, doch die Erfassung und Analyse dieser Daten stellt oft eine hohe Hürde dar. Manuelle, langsame Prozesse verzögern die Kreditentscheidung und treiben die Kosten nach oben.
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) kann das Erfassen und Lesen der Bilanzen automatisieren. Per „Automated Spreading“ werden die Finanzdaten der Abschlussberichte erfasst und den passenden Kategorien zugeordnet. Auf diese Weise stehen die Daten aller Kunden in einem einheitlichen Format zur Verfügung und können problemlos weiterverarbeitet werden.
Einen vollständigen Überblick über die wirtschaftliche Situation bietet jedoch nur die Ergänzung um Daten aus diversen internen und externen Systemen, wie etwa Auskunfteien, sowie um qualitative Informationen, beispielsweise aus sozialen Medien. Natural Language Processing (NLP), wie ML ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI), kann beispielsweise die Kundenreaktionen in Foren auswerten und so positive oder negative Imageveränderungen aufzeigen. So könnten etwa gehäufte Beschwerden über Qualitätsmängel ein Warnsignal für die künftige wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens sein. Über solche automatisierten Prozesse lassen sich wesentlich mehr Daten als bisher über ein Unternehmen erfassen – und damit ein vollständigeres Bild zeichnen, das die Unsicherheiten bei der Risiko-Einschätzung minimiert.
3. Risiko-Quantifizierung
Die Risiko-Quantifizierung umfasst die Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability Of Default, PD), den Verlust bei Ausfall (Loss Given Default, LGD) und der risikoadjustierten Kapitalrendite (Risk Adjusted Return On Capital, RAROC). Sie liefert die Grundlage für die Preisgestaltung und weitere Kreditbedingungen.
Die kommerzielle Kreditvergabe basiert auch heute noch weitgehend auf einem manuellen Prozess der tiefgehenden Analyse von Basisdaten und der Bewertung weicher Faktoren. In solchen Fällen hängt die Entscheidung zu einem nicht unerheblichen Anteil an der Erfahrung des Kreditsachbearbeiters, die einen relevanten Einfluss auf die Gewichtung der verschiedenen Risikoposten hat. Das ist nicht zwingend von Nachteil: Der Faktor Mensch kann ein Korrektiv sein für Daten aus manipulierten Büchern oder unrealistische Umsatz- und Wachstumsprognosen. Auf der anderen Seite können so systemische Fehler Einzug halten, die sich negativ auf die Marge des Kreditgebers auswirken. Eine Untersuchung von Geschäftskrediten in Portugal kam für die Jahre 2018 und 2019 zum Ergebnis, dass vor allem bei längerfristigen Krediten die risikobereinigte Rendite um knapp 3 Prozent zu niedrig lag. Auch branchenspezifische Unterschiede wurden festgestellt. So bekamen Unternehmen im Baugewerbe, im Immobiliensektor sowie im Bereich Transport und Logistik ihre Kredite zu Konditionen, die das reale Risiko unterschätzten, während das verarbeitende Gewerbe sowie Groß- und Einzelhandel tendenziell überteuerte Kredite erhielten.
Das latente Misstrauen gegenüber selbst gemeldeten Daten der Kreditnehmer führte zu einem Geflecht aus manuellen Prozessen und Gegenkontrollen, die bis heute im Einsatz sind, weil das Vertrauen in diese Methoden höher ist als in moderne Technologien. Doch wissenschaftliche Studien zeigen, dass dies ein Trugschluss ist.
Das Whitepaper „Machine Learning in Credit Risk“ der Banco De España erläutert, dass der Einsatz von KI- bzw. ML-Algorithmen bei der Risikomodellierung zu bis zu 20 Prozent besseren Vorhersagen führt. Ein zusätzlicher Nutzen der ML-Modelle liegt darin, dass sie nicht allein die Rückzahlungsfähigkeit des Kreditnehmers berechnen, sondern auch weitere preisrelevante Kriterien auswerten können. Es gibt beispielsweise Anwendungen, die auch das Verhalten, wie beobachtete Loyalität gegenüber dem Institut oder ihre Preiselastizität gegenüber Cross-Selling-Strategien einbeziehen, um die optimale Segmentierung zu finden. Die positiven Effekte für die Bank schlagen sich in reduzierten Verlusten, besserer oder günstigerer Kapitalanforderungen und geringeren Betriebskosten nieder.
4. Kreditentscheidung
Zwar können sich Banken derzeit über ein höheres Interesse an Anlagenfinanzierungen freuen. Doch angesichts kürzer werdenden Innovationszyklen und einer volatilen Entwicklung der deutschen Wirtschaft müssen auch Innovationsentscheidungen heute oft kurzfristiger getroffen werden als noch vor zehn Jahren. Darüber hinaus werden Anfragen zunehmend individueller und komplexer – sprich: aufwendiger. Dennoch sind Kreditinteressenten kaum bereit, daraus resultierende längere Bearbeitungsfristen und höhere Kosten zu akzeptieren.
Die Beschleunigung von Kreditzusagen mittels automatisierter, effizienterer Prozesse ist daher ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Wie dies gelingen kann, zeigt beispielsweise die Einführung der Credit Risk Management Platform von ACTICO bei SüdLeasing. Der Finanzierer setzt auf eine automatisierte Erstprüfung anhand von 25 risikorelevanten Regeln mittels „Decision Engine“. Die Aufnahme der detaillierten Kundendaten erfolgt mittels Import von elektronisch gegliederten Jahresabschlüssen, es folgt die automatische Errechnung der Kapitaldienstfähigkeit, des Ratings und des Objektrisikos anhand der von SüdLeasing entwickelten Regelmodelle. Daraus erstellt die Anwendung eine Entscheidungsempfehlung.
Auf diese Weise können inzwischen 80 Prozent der Kreditanfragen innerhalb von nur 48 Stunden beschieden werden. In komplexeren Fällen, die zuvor bis zu sechs Wochen benötigten, konnte SüdLeasing die Bearbeitungszeit auf im Schnitt zwei Wochen reduzieren.
Erfolgsgeschichte lesen
5. Preiskalkulation
Noch setzen viele Banken auf einen „One Size Fits All“-Ansatz bei der Bemessung der Kreditkonditionen, von dem nur in engen Grenzen abgewichen werden kann. In der Folge müssen kreditwürdige Kunden einen Aufschlag zahlen, um risikoreichere Kunden zu subventionieren.
Dabei ist Machine Learning bereits Werkzeug der Wahl für die Preisgestaltung einer Vielzahl von Finanzprodukten geworden. Dies kann auch vermehrt beim Kreditgeschäft genutzt werden. So lassen sich die die individuelle Ausfallwahrscheinlichkeit und die allgemeine Rückzahlungsleistung des Kreditnehmers mit großer Zuverlässigkeit bestimmen. Für Banken und Finanzierer eröffnet sich daraus die Chance, vom alten, starren Preisschema abzuweichen und zu einer dynamischen risikobasierten Preisgestaltung (Dynamic Risk-Based Pricing) überzugehen.
Neben den attraktiveren Konditionen kann eine transparente Darstellung der berücksichtigten Faktoren und ein darauf basierendes individuelles Angebot, das den tatsächlichen Risiken entspricht, größeres Vertrauen des Kunden in seine Bank schaffen und damit einen weiteren Beitrag zu einer langfristigen, engen Kundenbindung leisten.
6. Monitoring nach der Auszahlung
Solange der Kreditnehmer seine Raten pünktlich bezahlt, ist alles in Ordnung. Wenn jedoch irgendwann Probleme auftauchen, kann es bereits zu spät sein. Für Banken ist es daher unerlässlich, auch die laufende Entwicklung des Kreditnehmers zu überwachen, um rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.
Werden neben den Bilanzzahlen auch qualitative Daten zum Unternehmen erfasst, lassen sich daraus frühzeitig Schlüsse auf die weitere Entwicklung ziehen. Kunden von ACTICO setzen beispielsweise Machine-Learning-Verfahren ein, um die Wahrscheinlichkeit zu errechnen, nach der mit verspäteten Zahlungen zu rechnen ist. Die „Probability of Delayed Payment“ wird beispielsweise bereits im Umfeld von Kreditkarten-Kunden eingesetzt. Im Fall von Unternehmenskrediten kann auf Basis dieser Risiko-Einschätzung beispielsweise über die Ausweitung des Kreditrahmens kurzfristig entschieden werden.