13.09.2021

Die sechs wichtigsten Elemente für ein umfassendes Kreditrisiko-Management

Die Niedrigzins-Politik der EZB drückt nicht nur die Erträge der Anleger, sondern auch die Margen der Banken im Kreditgeschäft. Trotzdem stieg die Kreditvergabe zuletzt wieder an – sowohl nachfrage- wie angebotsgetrieben. 

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Dabei stehen Banken gleich mehrfach unter Druck. So herrscht strenger Wettbewerb, nicht nur zwischen den traditionellen Geldhäusern, sondern auch mit Neobanken, die klassische Kredite vermitteln oder auch alternative Finanzierungskonzepte anbieten. Dies führte dazu, dass die Anforderungen an Kreditnehmer nicht weiter verschärft, zum Teil sogar wieder gelockert wurden.

Auch die Corona-Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. Wo Geschäfte im Lockdown schließen mussten, stieg der Bedarf an Überbrückungskrediten, während Investitionen in Gebäude und Ausstattung zurückgestellt wurden. Zwar zieht die Konjunktur nun wieder an, und damit der Finanzbedarf. Doch in vielen Fällen ist es schwierig einzuschätzen, wie sich die Situation eines Kreditnehmers im Nachgang der Covid-19-Krise entwickeln wird. Denn dazu gibt es bislang keine Erfahrungswerte.

Umso wichtiger ist es nun, das Kreditrisiko-Management zu verbessern, um die Erträge aus dem Kreditgeschäft zu steigern. Zum einen müssen Bonitäts- und Risikofaktoren zuverlässig erfasst und angemessen bepreist werden – nicht nur um rechtzeitig Risikoaufschläge zu verlangen, sondern um umgekehrt auch Chancen zu günstigeren Konditionen zu finden, die Vorteile im Wettbewerb versprechen. Zum anderen gilt es, die Kreditentscheidung sowie das fortlaufende Monitoring des Kreditnehmers effizienter zu gestalten und die Prozesskosten zu minimieren. Nicht zuletzt kann auch die Frage, wie schnell eine Kreditzusage erteilt wird, über den geschäftlichen Erfolg entscheiden.

1. Customer Onboarding und Know Your Customer (KYC)

Der KYC-Prozess ist eine regulatorische Verpflichtung von Banken und Finanzdienstleistern, um Geldwäsche und Terror-Finanzierung zu verhindern. Darüber hinaus bietet er die Chance, ein umfassendes Profil des Kunden zu erstellen, dass bei entsprechender Pflege alle relevanten Informationen bereithält. Diese werden beispielsweise für regelmäßige Sanktions- und PEP-Prüfungen oder für eine periodische Aktualisierung des Kreditratings benötigt.

Gerade im KYC-Prozess lassen sich, zusammen mit dem Onboarding, erhebliche Effizienzpotenziale durch Digitalisierung und Automatisierung heben. Lösungen wie ACTICO KYC können über geeignete Schnittstellen in den Onboarding-Prozess eingebunden werden und übernehmen beispielsweise den automatisierten Abgleich der Kundendaten mit Sanktionslisten und PEP-Verzeichnissen (Politisch Exponierte Personen), die Aktualisierung der Risikoklassifizierung oder auch die Dokumentation der wirtschaftlich Berechtigten Personen eines Unternehmens. Aktualisierungen des KYC-Profils können risikoabhängig erfolgen. Auf diese Weise entsteht eine solide Datenbasis, die allen Aspekten des Kreditmanagements gerecht wird.

2. Bonitätsbeurteilung

Die Grundlage für die Prüfung und Einschätzung der Bonität eines Unternehmens bildet die Bilanzanalyse. Jahresabschlüsse und Quartalsberichte liefern zwar umfangreiche Daten zur wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens, doch die Erfassung und Analyse dieser Daten stellt oft eine hohe Hürde dar. Manuelle, langsame Prozesse verzögern den Kreditvergabeprozess und damit die Kreditentscheidung. Das Resultat sind steigende Kosten.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) kann das Erfassen und Lesen der Bilanzen automatisieren. Per „Automated Spreading“ werden die Finanzdaten der Abschlussberichte erfasst und den passenden Kategorien der Bilanzanalyse automatisch zugeordnet. Auf diese Weise stehen die Daten aller Kunden in einem einheitlichen Format zur Verfügung und können problemlos weiterverarbeitet werden.

Einen vollständigen Überblick über die wirtschaftliche Situation bietet jedoch nur die Ergänzung mit Daten aus diversen internen und externen Systemen, wie etwa Auskunfteien, sowie um qualitative Informationen, beispielsweise aus sozialen Medien. Natural Language Processing (NLP), wie ML ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI), kann beispielsweise die Kundenreaktionen in Foren auswerten und so positive oder negative Imageveränderungen aufzeigen. So könnten etwa gehäufte Beschwerden über Qualitätsmängel ein Warnsignal für die künftige wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens sein. Über solche automatisierten Prozesse lassen sich wesentlich mehr Daten als bisher über ein Unternehmen erfassen – und damit ein vollständigeres Bild zeichnen, das die Unsicherheiten bei der Risikoeinschätzung minimiert.

3. Risiko-Quantifizierung

Die Risiko-Quantifizierung umfasst die Bestimmung von Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability Of Default, PD), den Verlust bei Ausfall (Loss Given Default, LGD) und der risikoadjustierten Kapitalrendite (Risk Adjusted Return On Capital, RAROC). Sie liefert die Grundlage für die Preisgestaltung und weitere Kreditbedingungen.

Die kommerzielle Kreditvergabe in Banken basiert auch heute noch weitgehend auf einem manuellen Prozess der tiefgehenden Analyse von Basisdaten und der Bewertung weicher Faktoren. In solchen Fällen hängt die Kreditentscheidung zu einem nicht unerheblichen Anteil an der Erfahrung des Kreditsachbearbeiters, die einen relevanten Einfluss auf die Gewichtung der verschiedenen Risikoposten hat. Das ist nicht zwingend von Nachteil: Der Faktor Mensch kann ein Korrektiv sein für Daten aus manipulierten Büchern oder unrealistische Umsatz- und Wachstumsprognosen. Auf der anderen Seite können so systemische Fehler Einzug halten, die sich negativ auf die Marge des Kreditgebers auswirken.

Eine Untersuchung von Geschäftskrediten in Portugal kam für die Jahre 2018 und 2019 zum Ergebnis, dass vor allem bei längerfristigen Krediten die risikobereinigte Rendite um knapp 3 Prozent zu niedrig lag. Auch branchenspezifische Unterschiede wurden festgestellt. So bekamen Unternehmen im Baugewerbe, im Immobiliensektor sowie im Bereich Transport und Logistik ihre Kredite zu Konditionen, die das reale Risiko unterschätzten, während das verarbeitende Gewerbe sowie Groß- und Einzelhandel tendenziell überteuerte Kredite erhielten.

Das latente Misstrauen gegenüber selbst gemeldeten Daten der Kreditnehmer führte zu einem Geflecht aus manuellen Prozessen und Gegenkontrollen, die bis heute im Einsatz sind, weil das Vertrauen in diese Methoden höher ist als in moderne Technologien. Doch wissenschaftliche Studien zeigen, dass dies ein Trugschluss ist.

Das Whitepaper „Machine Learning in Credit Risk“ der Banco De España erläutert, dass der Einsatz von KI- bzw. ML-Algorithmen bei der Risikomodellierung zu bis zu 20 Prozent besseren Vorhersagen führt. Ein zusätzlicher Nutzen der ML-Modelle liegt darin, dass sie nicht allein die Rückzahlungsfähigkeit des Kreditnehmers berechnen, sondern auch weitere preisrelevante Kriterien auswerten können. Es gibt beispielsweise Anwendungen, die auch das Verhalten, wie beobachtete Loyalität gegenüber dem Institut oder ihre Preiselastizität gegenüber Cross-Selling-Strategien einbeziehen, um die optimale Segmentierung zu finden. Die positiven Effekte für die Bank schlagen sich in reduzierten Verlusten, besserer oder günstigerer Kapitalanforderungen und geringeren Betriebskosten nieder.

4. Kreditentscheidung

Zwar können sich Banken derzeit über ein höheres Interesse an Anlagenfinanzierungen freuen. Doch angesichts kürzer werdenden Innovationszyklen und einer volatilen Entwicklung der deutschen Wirtschaft müssen auch Innovationsentscheidungen heute oft kurzfristiger getroffen werden als noch vor zehn Jahren. Darüber hinaus werden Anfragen zunehmend individueller und komplexer – sprich: aufwendiger. Dennoch sind Kreditinteressenten kaum bereit, daraus resultierende längere Bearbeitungsfristen und höhere Kosten zu akzeptieren.

Die Beschleunigung von Kreditzusagen mittels automatisierter, effizienterer Kreditvergabeprozesse ist daher ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Wie dies gelingen kann, zeigt beispielsweise die Einführung der Credit Risk Management Platform von ACTICO bei SüdLeasing. Der Finanzierer setzt auf eine automatisierte Erstprüfung anhand von 25 risikorelevanten Regeln mittels „Decision Engine“. Die Aufnahme der detaillierten Kundendaten erfolgt mittels Import von elektronisch gegliederten Jahresabschlüssen, es folgt die automatische Errechnung der Kapitaldienstfähigkeit, des Ratings und des Objektrisikos anhand der von SüdLeasing entwickelten Regelmodelle. Daraus erstellt die Anwendung eine Entscheidungsempfehlung für die Kreditvergabe.

Auf diese Weise können inzwischen 80 Prozent der Kreditanfragen innerhalb von nur 48 Stunden beschieden werden. In komplexeren Fällen, die zuvor bis zu sechs Wochen benötigten, konnte SüdLeasing die Bearbeitungszeit auf im Schnitt zwei Wochen reduzieren.

5. Preiskalkulation

Noch setzen viele Banken auf einen One-Siz-Fits-All-Ansatz bei der Bemessung der Kreditkonditionen, von dem nur in engen Grenzen abgewichen werden kann. Kreditwürdige Kunden zahlen so einen Aufschlag, um risikoreichere Kunden zu subventionieren.

Dabei ist Machine Learning bereits das Werkzeug der Wahl für die Preisgestaltung einer Vielzahl von Finanzprodukten geworden. Dies kann auch vermehrt beim Kreditgeschäft von Banken genutzt werden. So lassen sich die die individuelle Ausfallwahrscheinlichkeit und die allgemeine Rückzahlungsleistung des Kreditnehmers mit großer Zuverlässigkeit bestimmen. Für Banken und Finanzierer eröffnet sich daraus die Chance, vom alten, starren Preisschema abzuweichen und zu einer dynamischen risikobasierten Preisgestaltung (Dynamic Risk-Based Pricing) überzugehen.

Neben den attraktiveren Konditionen kann eine transparente Darstellung der berücksichtigten Faktoren und ein darauf basierendes individuelles Angebot, das den tatsächlichen Risiken entspricht, größeres Vertrauen des Kunden in seine Bank schaffen und damit einen weiteren Beitrag zu einer langfristigen, engen Kundenbindung leisten.

6. Monitoring nach der Auszahlung

Solange der Kreditnehmer seine Raten pünktlich bezahlt, ist alles in Ordnung. Wenn jedoch irgendwann Probleme auftauchen, kann es bereits zu spät sein. Für Banken ist es daher unerlässlich, auch die laufende Entwicklung des Kreditnehmers zu überwachen, um rechtzeitig auf Veränderungen reagieren zu können.

Werden neben den Bilanzzahlen auch qualitative Daten zum Unternehmen erfasst, lassen sich daraus frühzeitig Schlüsse auf die weitere Entwicklung ziehen. Kunden von ACTICO setzen beispielsweise Machine-Learning-Verfahren ein, um die Wahrscheinlichkeit von verspäteten Zahlungen zu errechnen. Die „Probability of Delayed Payment“ wird beispielsweise bereits im Umfeld von Kreditkarten-Kunden eingesetzt. Im Fall von Unternehmenskrediten kann auf Basis dieser Risiko-Einschätzung beispielsweise über die Ausweitung des Kreditrahmens kurzfristig entschieden werden.

Fazit

Das Kreditgeschäft von heute und morgen ist mit den Mitteln von gestern nicht mehr zu bewältigen. Kunden benötigen komplexere, individuellere Finanzierungen, verlangen aber zugleich schnellere Entscheidungen und angemessene Risikoprämien. Banken stehen nicht nur in einem strengen Wettbewerb um Preise und die Grenzen des zulässigen Risikos. Negativzinsen der EZB erhöhen den Druck, Gelder nicht zu parken, sondern als Kredite auszureichen.

Daneben müssen sie sich auch um ihr langfristiges Geschäftsmodell sorgen. So hat erst vor wenigen Wochen die Rating-Agentur S&P zahlreiche deutsche Banken abgewertet. Zu geringe Fortschritte bei der Einnahmen-Diversifizierung, der Kostenstruktur und der Digitalisierung im Vergleich zu den globalen Konkurrenten bescheinigten die Analysten dem deutschen Bankensektor.

Das Kreditrisiko-Management bietet zahlreiche Chancen, manuelle Prozesse zu digitalisieren und ganz oder teilweise zu automatisieren. Die Plattform von ACTICO hebt mit dem Einsatz von KI und ML erhebliche Effizienzpotenziale und kann Banken und Finanzdienstleister in allen Aspekten des Kreditgeschäfts unterstützen: Ein wettbewerbsfähiges Pricing bei einer zuverlässigen Einschätzung des Risikos, eine bessere Kostenstruktur und höhere Margen, schneller Return on Invest (RoI) und zufriedenere Kunden stehen auf der Habenseite einer solchen Investition, die auch den Sorgen von Analysten und Stakeholdern Rechnung trägt.

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